ARTICLE REPRODUIT AVEC L'AIMABLE AUTORISATION DE LA REVUE LE GUILLON
VON EINEM DUNKLEN, GOLDBRAUNEN ROT, EINER TIEFGRÜNDIGEN, WARMHERZIGEN HERBSTFARBE, TEILEN SIE MIT DEN EPIKURÄERN DES GAUMENS EINEN GESUNDEN HANG ZUM IST-MIR-DOCH-EGAL, WENN ES UM KALORIENBILANZEN GEHT. AUF DER SCHWELLE ZUM WINTER SCHREIBEN DER WAADTLÄNDER SAUCISSON UND DIE SAUCISSE AUX CHOUX IGP DIE GOURMETCHRONIK DES ANGEKÜNDIGTEN RAUREIFS - DAS GEGENTEIL EINES WINTERSCHLAFS!
Waadtländer Charcuterie, herbstliche Schweinereien
Marie Dougoud
Jeder rechte Waadtländer wird es Ihnen bestätigen: Papet und Saucisse sowie Potée und Saucisson vor dem Kamin wiegen exotische, kalorienreduzierte Überspanntheiten in der klimatisierten Laube auf. Jedes Jahr zur gleichen Zeit erwartet er sie, freut sich auf sie, poliert seine Gabel und entfaltet seine Serviette, während er sich kaum gedulden kann, den eifersüchtig gehüteten Pinot, Garanoir oder Syrah entkorken zu dürfen, der sie begleiten wird. Und da sich Chauvinismus für einmal auf Genuss reimt, täte er unrecht daran, sich zu genieren. Das gemeinsame Zeichen, das sie identifiziert, ist der Duft, der beruhigt und Freundschaften besiegelt rund um den Tisch, ob mit feinem Leinen oder mit Wachstuch gedeckt. Das verdanken sie 45 der Ihrigen, gruppiert in der Association Charcuterie Vaudoise IGP. Oder präziser: 43 Handwerksbetrieben und zwei industriellen Fabrikanten, die auf den ersten Blick grössere Augen als Bäuche zu haben scheinen. Doch man lasse sich nicht täuschen: Die beiden wenden gewissenhaft dasselbe Pflichtenheft an, doch jeder behält sein eigenes geniales Rezept für sich (Zertifizierung heisst nicht Uniformierung!), fördern die Dynamik der Gruppe, realisieren allein 95% der Fabrikation und finanzieren den Löwenanteil der Promotion dieser Spezialitäten. Es werden 1000 Tonnen Waadtländer Saucisson und 700 Tonnen Saucisse aux choux produziert und mit dem Siegel Produits du Terroir vaudois und dem Label IGP (geschützte geografischen Herkunft) versehen.
Unter Waadtländern
Hier muss man eine Klammer einfügen. Die Waadtländer Wurstproduzenten wollten ihre prestigereichen Spezialitäten mit der Appellation d'origine contrôlée (AOC) krönen. Sie ist Produkten vorbehalten, bei denen sich alle Fabrikationsetappen - Geburt, Aufzucht, Schlachten, Verarbeitung - in der geographischen Zone des Kantons Waadt konzentrieren. Um die Regelmässigkeit, sprich die Erhöhung des Angebots zu garantieren, müssten die Waadtländer Produzenten jedes Jahr 210'000 Schweine mästen, «verbraucht» doch die Produktion von Saucisson und Saucisse aux choux nur 8% (8 kg) des verfügbaren Fleisches. Heute züchten sie kaum die Hälfte davon.
Also den Schweinebestand erhöhen? Das wäre nur vermeintlich eine gute Lösung, gibt der Leiter der Association Charcuterie Vaudoise IGP, Dr. Didier Blanc, zu bedenken. Die Tendenz geht eher in Richtung Reduzierung der Bestände. Eine Vervielfachung der Schweineställe würde wegen Lärm- und Geruchsbelästigungen auf grossen Widerstand stossen. Die komplizierten Bewilligungsverfahren für den Bau ziehen sich fünf bis zehn Jahre hin, die Haltungsbedingungen werden immer strenger und die Investitionskosten, immer abschreckender. Ganz zu schweigen davon, dass alles, was nicht für die Wurstbereitung verwendet wird (Filet Mignon, Koteletten, Schinken, Schulter und Hals), Absatzprobleme generieren würde, deckt doch die einheimische Produktion bereits 93% des Frischfleischmarktes.
So machte denn die IGP das Rennen, weil sie bloss verlangt, dass die Fabrikation auf Waadtländer Boden stattfinden muss und da sie keine Interprofession erfordert, die alle Akteure der Branche vereinigt. Die IGP ist zwar weniger prestigereich, belastet aber keineswegs das vorzügliche Image der Waadtländer Charcuterie. Zudem: Wer bemerkt einen Unterschied zwischen einem in Freiburg, Luzern oder der Waadt gemästeten Schwein?
Trumpfkarte Terroir
Fleisch vom Schweizer Schwein, Speck, Kohl, Schwarte, Salz, Gewürze, Naturdärme: das macht die «ringförmige Wurst» aus, mit kupferfarbener Haut, weichem, saftigem Fleisch, kräftigem Geschmack... und grosszügigen Kalorien (335 kcal/100 g). Was man gerne vergisst, wenn sie, auf ihrem Bett aus Lauch präsentiert, schon beim ersten Bissen ihre kraftvolle Rustikalität offenbart. Schweizer Schweinefleisch, leicht geräuchert, mit einem Verhältnis mageres Fleisch zu Speck von 60:40, Salz, Pfeffer, Knoblauch, Koriander, Weinhefe, Weisswein: Der Waadtländer Saucisson steht zu seiner Zusammensetzung. Jeder Inhaltsstoff, der in der Fabrikationscharta nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist untersagt. Wer eine Prise Fenchelsamen, einen Schuss Salvagnin oder drei Pistazien beifügt, riskiert, aus dem Kreis der IGP ausgeschlossen zu werden. Es gibt unendlich viele, aber ganz feine Unterschiede zwischen den Rezepten der verschiedenen Produzenten, nicht zuletzt, was die diversen Parameter der Herstellung wie Kneten, Röten und Räuchern betrifft (Konsistenz, Farbe und Geschmack). Gewürze und andere Zutaten (Koriander, Pfeffer, Hefe, Weisswein usw.) sind fakultativ. Jeder fügt bei, was er will, und in den Proportionen, die er will. So ist jedes Rezept etwas Einzigartiges.
Stärkende Speisen mit Persönlichkeit, Mahlzeiten für das gemütliche Beisammensitzen par excellence - kein Wunder, haben sie längst Eingang gefunden in die Gastronomie, und zwar durch die grosse Tür der Terroirs, nur für die regionalen Produkte geöffnet, welche durch Authentizität, Nähe und Rückverfolgbarkeit bestechen und erst noch eine günstige Ökobilanz aufweisen. Alles Werte, die dem Konsumenten Sicherheit geben, der ratlos vor der Masse der industriellen Produkte steht, die oft weder einen Pass noch Charakter haben, sondern die Grenzen zwischen den Begriffen Globalisierung und Mittelmass verwischen.
Stolz ohne Komplexe
Paradoxerweise fordert dieselbe Waadtländer Charcuterie «de chez nous pour chez nous» das Recht auf Export. Stolz darauf, die Waadtländer Farben am Salon Goûts et Terroirs in Bulle, an der Olma in Sankt Gallen oder an der Züspa in Zürich zu vertreten, gibt sie sich nicht damit zufrieden, sich in nationalen Kampagnen in Szene zu setzen, nein, sie besass 2007 die Dreistigkeit, in Richtung Valencia zu segeln. Nicht, um die Paella oder die kulinarische Kultur der spanischen Feinschmecker zu bereichern, sondern um die Besucher der Defender Bar beim America's Cup zu verführen. Und vielleicht, wer weiss, um den Matrosen der Alinghi mehr Energie zu verleihen. Eine plebejische Waadtländer Wurst, die sich jedes Jahr in Paris am Landwirtschaftssalon präsentiert, ist nichts Gewöhnliches! Und die strengen Fundamentalisten der Ernährungslehre, die «das Fett» als Todfeind bekämpfen, werden von den Waadtländer Charcutiers vor den Kopf gestossen: mit dem Sponsoring des Lausanne-Hockey Club und der «Graines de Foot», dem Turnier der Waadtländer Junioren. Es gibt nur eine Bedingung: Auf die Gabel gespiesst werden dürfen nur plombierte Produkte. Und das ist besser, als bleischwere Köpfe vom vielen Trinken zu haben!
«Die IGP ist zwar weniger prestigereich, belastet aber keineswegs das Image der vorzüglichen Qualität der Waadtländer Charcuterie.»
Dr. Didier Blanc, Leiter der Association Charcuterie Vaudois IGP